Mittwoch, 16. April 2008
Bittere NATO Nachwehen

Waehrend sich letzte Woche die Maechtigsten der Maechtigen in den marmorierten Hallen des Bukarester Volkspalastes zu einem gediegenen Plausch ueber die Zukunft der NATO zusammenfanden, ging wenige Blocks weiter, in Timpuri Noi etwas weitaus ungemuetlicheres von statten: Hier drangen am Mittwoch cirka 200 bewaffnete Spezialeinheiten der rumaenischen Gendarmerie in die von NATO-Kritikern angemietete Halle einer Fabrik ein und nahmen ca. 50 Personen gewaltsam fest. Gewaltsam, das heist hier: Menschen mit blutenden Muendern und Nasen, den Berichten der Aktivisten zu folge sollen die Beamten den Kopf eines Aktivisten sogar gegen eine Wand geschlagen haben und ihn anschliessend eine Treppe heruntergeschleift haben. Doch damit nicht genug: Neben der Razzia auf die Fabrikhalle in Timpuri Noi kam es zu Festnahmen von Journalisten, wegen dem Besitz von NATO-kritischen Flyern wurden Aktivisten stundenlang an der rumaenischen Grenze festgehalten und in eine NATO-Kartei aufgenommen.

Unter den Protestierenden in der Fabrikhalle war auch das Kuenstlerkollektiv H.Arta aus dem westrumaenischen Timisoara. Erst vor einem halben Jahr waren Maria Crista, Anca Gyemant and Rodica Tache in Bukarest gewesen. Damals jedoch nicht, um ein NATO-Kritisches Kulturprogramm zu organsisieren, sondern um im Rahmen der vom Goethe Institut Bukarest kuratierten Kunstausstellung Public Art Bucharest den sogenannten Project Space ins Leben zu rufen. Es war ein Ort, an dem einen Monat lang in Ruhe ueber Themen wie Gender, Globalisierung, Freie Software, Post-Kommunismus oder Neoliberalismus gesprochen werden konnte. In der kleinen Villa, unweit des Piata Romana, trafen Wissenschaftler auf Journalisten, Globalisierungs-Kritiker auf Kuratoren, Musiker auf bildende Kuenstler. Wenn man hier also von Kunst spricht, so ist dies kein Gegenstand, der sich im Tempel des Guten, Schoenen, Wahren einreihen moechte, sondern sich engagiert und kritisch seiner gesellschaftlichen Verantwortung stellt.
Diese Woche schliesslich erhielt Radio Romania International einen offenen Brief von der Kuenstlergruppe H.Arta. Wovon sie da berichten hat ganz andere Dimensionen als die gewaltsamen Uebergriffe, die internationale Treffen in Seattle, Heiligendamm oder jetzt auch Bukarest immer wieder begleiteten: Nein, In ihrem Brief schilderten sie, wie sie seit der Kunstausstellung Public Art Bucharest im September 2007 systematisch ueberwacht werden: Telefon, Internet, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ihnen Maenner folgen, die sich nicht einmal vor ihnen verstecken.

Gewaltsame Uebergriffe auf groesstenteils friedliche Demonstranten: Festnahmen oder Einreiseverbote - dass die Polizei waehrend des NATO-Gipfels derart uebermaessig reagierte, liegt wohl zum einen Teil daran, dass die Medien schon Wochen zuvor ein Bild von gewaltbereiten Anarchisten gezeichnet haben, die das Image eines friedlichen und geordneten Rumaeniens in Gefahr bringen koennten. Womit die Schwelle zum Uebertreten der rechtlichen Schranken von Seiten der Polizei heruntergesetzt wurde. Zum anderen lag der Grund darin, dass dies einer der ersten wirklich grossen internationelen Treffen in Bukarest seit langem war und daher ein besonders grosser Druck auf den Einsatzkraften lag – was dieses Vorgehen jedoch keineswegs entschuldigt. Aus einem punktuellen Ereigniss laesst sich aber weit weniger ueber die Positionierung einer Staatspolizei schliessen, als aus der dauerhaften und systematischen Ueberwachung von Menschen die lediglich ihre Meinung aeussern. Denn In ihrer Systematik erinnern die Methoden, mit denen die Polizei die Kuenstlergruppe H.Arta ueberwachen, kaum an die eines demokratischen Rechtsstates, vielmehr an die rumaenische oder auch ostdeutsche Vergangenheit vor 1989. Eine Vergangenheit, in der Spitzelei und Einschuechterungen die Regel waren. Dieser Dauerzustand zeigt, dass die fuehrenden Koepfe der Polizei immer noch ein Staatsmodell anstreben, dass keinen Dissenz, keine Widerspruche und Diskurse zulaesst und die Uebergriffe auf die NATO-Kritiker auch keine prinzipielle Ausnahme sind. Debatten und Diskurse kennt dieses Modell nur, wenn es in den marmorierten Hallen des Parlamentspalastes, auf internationalem Parkett stattfindet.
(verfasst für rri.ro)

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Last update: 2008.09.18, 22:45
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