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Donnerstag, 5. Juni 2008 Peter Wehrli und der rumänische Dadaismus
inbukarest, 21:54h
»Es ist so, als ob das Kaleidoskop, in das wir reinkucken plötzlich noch 10.000 neue Farben erhalten hätte, 10.000 neue Formen.« Wenn sich der Künstler und Kunstwissenschaftler Peter Wehrli, zurückgelehnt auf seinem Stuhl, mit seinen Händen ausholende Gesten in die Luft malend, an solcherlei Vergleiche wagt, dann geht es ihm um wirklich tiefgreifende Veränderungen. Um Veränderungen, die daraus resultieren, dass der eiserne Vorhang vor knapp 18 Jahren gefallen ist und damit eine Unmenge an neuen Erkenntnissen über die Kunst und Kultur Osteuropas ans Tageslicht befördert hat. Eine nicht westlich zentrierte Kunstgeschichtsschreibung ist dadurch in greifbare Nähe gerückt, ein Grund, weshalb er vom Bukarester New Europe College zu einem dreimonatigen Stipendienaufenthalt eingeladen wurde, um sich diesem Thema zu zuwenden.
Diesen Mittwoch hielt er zum Abschluss einen Vortrag über jenes Thema der rumänischen Vergangenheit, dass ihm besonders am Herzen liegt, schließlich hatte er sich fast zeitlebens mit ihr beschäftigt: Dem Dadaismus. Eine Kunstrichtung der 10er und 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, welche sich im wesentlichen als Anti-Kunst gegen die bürgerlichen Ideale verstanden hatte und wohl zu den Wegbereitern der abstrakten Kunst gehörten. Dada, das bedeutete damals, sich dem Geniekult um den Künstler zu widersetzen und dem Zufall freie Hand zu lassen: Neben abstrakten Malereien und Collagen oder auch atonaler Musik entstanden so auch archaische Lautgedichte aus zerschnittenen und wieder zusammengeklebten Zeitungsartikeln. Für Peter Wehrli ist Dada demnach ein Konzept, dass gerade in der künstlerischen Grundhaltung von unüberschätzbarer Bedeutung ist. Ich habe mich nicht theoretisch damit beschäftigt, obschon ich schon Kunstwissenschaften studiert habe. Aber ich habe mich dann durch meine Praxis eigentlich auf die Seite der Künstler geschlagen und nicht auf die Seite der Kunsthistoriker. Und deshalb meine sogenannte lebenslange Beschäftigung mit dem Dadaismus ist eine Art von Bekundung meiner Solidarität mit den Zielen, die die Dadaisten damals hatten und eine Solidarität mit den Wirkungen, die bis heute eigentlich aus dem Dadaismus hinaus weiterwirken könnten Das Spielfeld für ihre künstlerischen Eskapaden fand die Bewegung 1914 im Züricher Cabaret Voltaire – gegründet von Hugo Ball, Emmy Hennings, Hans Arp, und den aus Rumänien emigrierten Künstlern Tristan Tzara und Marcel Janco. Eben jenen letzten Künstler hatte Peter Wehrli noch selbst interviewen können und diese Begegnung zu einem Dokumentarfilm verarbeiten können. Von dessen Lebensprojekt, dem Kampf für eine abstrakte Kunst als universelle Sprache des Menschen hat auch Wehrli großen Einfluss genommen: Im Gespräch mit Janco damals habe ich namlich ein persönliches Erlebnis eingebracht, als er sagte, die abstrakte ist die universale Sprache. Und ich musste ihm recht geben, weil ich kam gerade aus Syrien zurück und sagte, ich habe ein Bild gesehen, auf dem in Syrien ein Haus abgebildet war, das Bild hieß Haus. Aber, und es war kein abstraktes Bild, aber ich konnte kein Haus darin erkennen, weil ein Haus in Syrien etwas anderes ist als in Mitteleuropa, und zwar ist es ein Kubus mit einer bienenstocksteilen Kuppel drüber. So wohnen die Leute in der syrischen Tonerdensteppe, so nenn ich das. Und für die ist ein Haus ein Kubus mit einem Bienenstock als Dach darüber. Wenn das ein Haus ist, wie sollen dann vier Wände und ein flaches Dach oder zwei Stockwerke und ein Balkon, wie kann denn das ein Haus sein, wenn das auch ein Haus ist und jenes ein Haus ist. Was ist dann ein Haus? Und da hat dann eben Janco gesagt, dass: dieses Mißverständnis versuchen wir aufzuheben, indem wir ein Haus möglicherweise erlebbar machen. Wir brauchen es nicht erkennbar darzustellen, aber wir können es durch abstrakte Formen und Farben, durch Klänge, wie er sagt, können wir es fühlbar machen oder können wir den Eindruck erwecken eines Hauses, der Behaustheit. Die Spuren, welche die Dinge mit denen wir täglich in Kontakt sind erlebbar zu machen – eines der vielen gegensätzlichen Manifeste des Dada. Spuren des Dadaismus fand Peter Wehrli jedenfalls auch bei seinem dreimonatigen Kontakt mit dem Leben der Stadt Bukarest: Für mich steckt eigentlich viel von Dada in Bukarest – Architektonisch soweiso. In diesem wahnsinnigen Durcheinander von Stilen und von Formen. Es steckt auch viel darin von Dada, dass ich nämlich häufig das Gefühl habe, Bukarest ist die Stadt, in der sich die Bewohner nicht für ihre Stadt interessieren. Also ich kenne keine Stadt Europas, in der die Bewohner so aneindander vorbeigehen. Wenn ich durch Lissabon, durch Berlin gehe, habe ich immer das Gefühl, die Leute, die mir auf der Straße entgegenkommen, die nehmen wahr, dass ihnen da jemand entgegenkommt. Nämlich ich und man hat sich im Auge, man lächelt sich zu, man grüßt sich. Hier und da, wenn man sich den Vortritt lässt vor einem Auto, dann macht man das mit einem Scherzwort – das macht man hier nicht. Hier geht man vorbei, selbst wenn ich mit meinem Einkaufswagen bei Carrefour einen anderen ramme, da wird kein Scherzwort gemacht, nicht entschuldigt, nix. Man geht weiter. Also es ist eine Stadt, deren Bewohner die Stadt nicht wahrnehmen. Und das ist natürlich auch eine trotzige Haltung. Und die hat wieder sehr viel mit Dada zu tun. Doch wie ließe sich dann der Unterschied zu der Geburtststadt des Dada, Zürich für Peter Wehrli fassbar machen? Ich hab mit Marcel Janco, das hab ich im Referat am Anfang gesagt: Ich fragte ihn, Wie erleben Sie die Gemeinsamkeit zwischen Zürich und Bukarest? Und er sagte: Die Gemeinsamkeit ist Dada und dann fragte ich ihn, ja und wie erleben Sie den Unterschied und er sagte: Der Unterschied ist Dada. (Bericht verfasst für ww.rri.ro) ... link (0 Kommentare) ... comment ... older stories
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